Märchenhafte Baumgestalten - in Deutschlands Wäldern selten geworden. Foto: S. Ecker 2019
Märchenhafte Baumgestalten - in Deutschlands Wäldern selten geworden. Foto: S. Ecker 2019

 

 

Pressemitteilung zum Tag des Waldes                                                    20.März 2020

 

 

Warum sich Hänsel und Gretel nie mehr im Wald verirren

 

 

Wer kennt es nicht - das Märchen von Hänsel und Gretel, die sich einst im dichten, dunklen Wald verliefen und „Zuflucht“ im Hexenhaus fanden - bis sie erkannten, dass sie in die Irre geführt wurden.

 

In heutigen Zeiten dürfte es kaum noch möglich sein, sich im Wald zu verlaufen, denn aus einst dichten dunklen Wäldern sind fast überall in Deutschland lichte Orte geworden, die durch dünne Bäumchen hindurch den Himmel erblicken lassen – ein fast gläserner Wald mit breiten Forststraßen und einem dichten Netz von Rückegassen, wo schwere Forstmaschinen das ganze Jahr über mit hohen Kollateralschäden an Bäumen und Böden wüten. Reisigmatten unter den Riesenmaschinen sollen die Bürger beruhigen – wahrlich ein Märchen, denn es sind die hohen Vibrationen beim Arbeitseinsatz, die die Sauerstoffporen im Boden zurütteln und jedes Bodenleben ersticken. Kein noch so breiter Reifen kann diesen Vorgang der Abtötung humusbildender Mikroorganismen bis in tiefe Boden-schichten hinunter verhindern.

 

Statt der Hexe im Zuckerhäuschen nehmen nach den Forstreformen die mit der Pflege des Staatswaldes beauftragten Landesforsten eine zwielichtige Rolle im schwindenden Waldesdunkel ein: sind sie es doch, die einerseits die furchtbaren Schäden durch Klimawandel und Borkenkäfer beklagen, andererseits aber mit Hochglanzbroschüren den steigenden Holzeinschlag bei hervorragender „nachhaltiger Pflege der Wälder“ und den „klimatauglichen Waldumbau“ bewerben.

 

 Sie bedienen damit die weltweit zunehmenden Begehrlichkeiten, die unsere Wälder nach und nach ihrer letzten Schätze berauben: auf anderen Kontinenten die Regenwälder, bei uns die älteren kostbaren Laubbaumbestände mit Buchen, Eichen, Eschen… Hänsel und Gretel werden den märchenhaften Baumgestalten am Wegesrand und im tiefen Wald wohl kaum noch begegnen, denn laut ministerialer Wegweisung mit Unterstützung aus den Reihen forstwirtschaftlicher Hochschullehre wurden diese sowohl im Wirtschaftswald, als auch in Naturschutz- und FFH Gebieten den Profit-interessen des Staates überlassen.

 

 

Forstwirtschaftlich geschickt begründet man hier die Eingriffe mit Waldverjüngung (die vor allem einer Verkürzung der Umtriebszeiten und damit der schnelleren Holzernte dient), Verkehrssicherung (die wir in Naturschutzgebieten weitab von Wegen nicht brauchen), Steigerung der Artenvielfalt durch Auflichtung des Waldes (was natürlich nur eine Förderung der Offenlandarten bewirkt, die im Wald nichts zu suchen haben), Pflegemaßnahmen (die seltsame Ergebnisse wie vom Klimawandel bedrohte Nadelholzpflanzungen oder die Beseitigung des Buchenunterwuchses aufweisen), usw.

 

 

Was aber in den Wäldern völlig im Maschinenlärm unterzugehen scheint, ist das Flüstern einer guten Waldfee, die die Förster bittet, die Menschen doch vor allem Sparsamkeit mit dieser wertvollen Ressource zu lehren und ausreichend würdige alte Bäume (viel älter als 80-100 Jahre) in der Fläche zu erhalten. Gerade Baumhöhlen und stehendes Totholz würden die Hotspots der Wald-Artenvielfalt gezielt fördern.

 

 Stattdessen wird die Kritik von Umweltverbänden und engagierten Bürgern an der Übernutzung der Wälder als „romantische Spinnerei“ abgetan. Der Märchenwald der Gebrüder Grimm war gestern, heute zählt "ordnungsgemäße" Forstwirtschaft nach „guter fachlicher Praxis“ - Begrifflichkeiten ohne Mindeststandards, die für den Waldschutz keine verbindlichen Vorgaben machen. Ergebnis: vielerorts forstliche Schädigung oder gar Zerstörung von FFH- und Naturschutzgebieten, strukturreichen Wirtschaftswäldern sowie in Zeiten des Nadelbaumsterbens gesteigerte Einschläge ins Laubholz, um entgangene Gewinne wett zu machen. Unterstützung für diese Maßnahmen liefern leider auch und gerade Professoren der Georg-August-Universität Göttingen (Fakultät für Forstwissenschaften und Waldökologie), so dass die vorwiegend ökonomischen Interessen durch wissenschaftliche Berater untermauert werden – zum Schaden gesunder resilienter Wälder.

 

Wohlgemerkt, unser „Märchenwald“ ist der Staatswald, der nach Bundesverfassungsgerichtsurteil vorrangig den Gemeinwohlfunktionen dient und nicht der Erwirtschaftung forstwirtschaftlicher Erzeugnisse!

 

Gegen die festgefahrenen und an die aktuelle Situation unangepassten Vorgehensweisen der Forstwirtschaft und zum Schutz des Waldes vor industriell-effizienter Plünderung gründeten sich deshalb Netzwerke der Waldökologie, die hier eine Notbremse ziehen wollen und Gesetzesinitiativen zum verbindlichen Schutz und Erhalt der Wälder in Deutschland fordern. Bundesweite Bürgerinitiativen schlossen sich 2017 in einer Dachorganisation, der BundesBürgerInitiative WaldSchutz (BBIWS) zusammen, um nicht nur auf Länder- sondern auch auf Bundesebene agieren zu können.

 

Gotthard Eitler, der ehemalige Leiter der Städtischen Forstverwaltung Bayreuth in Bayern (www.eitler.de) brachte es schon vor Jahren auf den Punkt: "Auch die einstmals sehr gut ausgebildeten Forstleute wurden von der Politik umgepolt und zu gefühllosen Holzknechten degradiert. Wess' Brot ich ess, des Lied ich sing!" Er selbst prägte damals mit seinen Kollegen den Begriff des "Waldsterbens" und war maßgeblich an der Rettung der Wälder beteiligt, was ihm als "Mann der Klartext spricht" fast ein Disziplinarverfahren eingehandelt hätte.

 

Auch Hans Bibelriether, Biologe und promovierter Forstmann, von 1969-98 Leiter des Nationalparks Bayerischer Wald, deckte bereits vor über 10 Jahren die Schönfärberei der Verantwortlichen in Forst- und Holzwirtschaft schonungslos auf. So forderte er 2008 in einem Artikel der Nationalparkzeitung unter der Überschrift "Holz- und Forstmärchen heute" die Bürger des Landes auf, sich um ihrer und der Zukunft ihrer Kinder willen gegen die hemmungslose Vermarktung ihrer Wälder zu wehren: "Die in den letzten Jahren durchgezogene Umwandlung der Landesforstverwaltungen in auf Gewinn-maximierung ausgerichtete Forstunternehmen schränkt großflächig die gesetzlich vorgeschriebene Erfüllung der Schutz- und Sozialfunktion der Wälder ein. Die Folgen sind dramatisch."

 

Dass es auch anders geht, zeigte Förster Martin Levin, dessen Waldbewirtschaftung im 1.600 ha großen Göttinger Stadtwald in Deutschland und international bis heute als vorbildlich gelobt wird. Sie zeichnet sich durch alte Waldbestände und ein schonendes Vorgehen beim Holzeinschlag aus.

 

Auch der Lübecker Stadtwald gilt weltweit als leuchtendes Beispiel für naturnahe Waldbewirtschaftung und findet immer mehr Nachahmer. Das Lübecker Modell steht für den Wald der Zukunft, setzt auf heimische Baumarten, lässt Bäume alt und dick werden und baut ebenfalls auf schonende Holzernte.

 

Nach dem Motto: die Natur weiß selbst, was für sie am besten ist!