Das aktuelle Hochwasser in Spanien mit vielen Toten und unermesslichen Schäden ruft die Bilder aus dem Ahrtal wieder auf. Katastrophen ohne Ausweg? Mitnichten! Seit langem wird die wichtige Rolle der Schwammwälder im Hochwasserschutz betont – und bundesweit konsequent missachtet. Starkregen und Hochwasser drohen aufgrund des Klimawandels fast überall. Wo bleibt die Reaktion?
Ein Bericht aus dem Schurwald in Baden-Württemberg
Während wir zum Thema Rückegassen, Maschinenwege und Drainagekanäle recherchierten, regnete es rund um den Schurwald ohne Unterlass. Das war Ende Mai und noch bevor wir den Artikel veröffentlichen wollten, regnete es über manchen Regionen rund um den Schurwald so extrem und mit teils katastrophalem Ausmaß. Man hörte im Radio von überlaufenden Regenbecken, von verstopften Brücken und Abflüsse mit Holz und Kleinholz. Jahrhunderthochwasser geisterte durch die Medien. Am Ende kamen binnen 48 Stunden Regenmengen von über 140 l/m² zusammen. Wir haben uns dazu entschlossen, den Beitrag noch einmal zurückzustellen und tiefer in die Recherche und Dokumentation einzusteigen, um der Frage nachzugehen, welchen Einfluss Rückegassen, Maschinenwege und Drainagekanäle nach einem Starkregenereignis auf Hochwasser in den Tälern rund um den Schurwald haben.
Begünstigen Rückegassen im Wald das Hochwasser in den Tälern?
Nach den massiven und zerstörerischen Eingriffen im Dezember 2023 durch ForstBW in unserem Schurwald ist uns sofort die Problematik mit den Rückegassen aufgefallen. Denn durch das Befahren des lehmhaltigen Waldbodens - sowohl im FSC-, als auch im Natura2000 zertifizierten Bereich durch tonnenschwere Harvester und Forwarder (Vollernter; Rückezug - können ein Gewicht von 30 bis 70 Tonnen erreichen), wurde der Boden extrem verdichtet (hart wie Beton) und gleich doppelt belastet. Da die Schlagrodungen in einer sehr regenintensiven Zeit stattfanden, sind die Harvester mit 80 bis 150 cm entsprechend tief eingesunken. Die Rückegassen sind hangabwärts - und somit ins Tal - gerichtet.
Erschwerend kommt hinzu, dass in Rückegassen quasi ein Kahlhieb stattfindet. Die Sonneneinwirkung wird stärker und ebenso die Winde trocknen - je nach Lage - den Boden zusätzlich aus. Der Boden wird also nicht nur verdichtet, sondern durch Trockenheit sehr hart - kommt es zum Starkregen, trifft dieser ungehindert auf die Rückegassen und strömt hangabwärts. Durch das Befahren entstehen teilweise auch Schäden am Wurzelwerk der Randbäume in den Gassen da dieses zusammengepresst wird und zukünftig weniger Wasser aufnehmen kann. Vom Edaphon ganz zu schweigen.
Der logische Rückschluss liegt nahe, dass Rückegassen im engen Abstand von 15 bis 40 Meter hangabwärts nicht nur den Wald entwässern, sondern bei Starkregenereignissen regelrechte Sturzfluten in die Täler ableitet. Wir hatten diese Bedenken von Anfang an und diese auch dem Forstamt in Esslingen, sowie ForstBW mitgeteilt. Eine Reaktion erfolgte nicht. Einfache Physik - ein Starkregenereignis im Zusammenspiel mit hangabwärts gerichteten Rückegassen kann viel Wasser in kürzester Zeit in die Täler spülen.
Studien haben ergeben, dass:
… Vierzig Jahre nach der letzten forstlichen Nutzung wiesen Rückegassen … noch starke Strukturstörungen auf…
Die Ahrtal-Katastrophe
Ähnliches wurde auch damals bei der Ahrtal-Katastrophe festgestellt. Rückegassen, ein durch Harvester verdichteter Waldboden und Schlagrodungen sind wohl ein Beschleuniger der Hochwasserkatastrophe gewesen. Am 21. Mai 2021 erfolgte eine Meldung eines besorgten Bürgers, dass eine Hochwasserkatastrophe bevorstehen wird, welche am 21. Juli 2021 auch prompt so eintrat. Die Physik kann nicht betrogen werden.
Studien - von Greenpeace in Auftrag gegeben - bestätigen die These, dass die Forstwirtschaft einen maßgeblichen Anteil an der Flut hatte - Zitat:
… Weiterhin führt der Umgang mit den Schadflächen seitens der Forstbehörden zu einer erhöhten Anfälligkeit der Waldflächen, da flächiges Befahren und Abräumen der abgestorbenen Bäume den Boden und dessen Wasserspeicherfähigkeit zerstören… …und der Boden ist meist durch eine flächige Befahrung stark verdichtet. Im Falle von Starkniederschlagsereignissen haben solche Flächen keine schützende Funktion mehr und die auftreffenden Niederschläge fließen hauptsächlich oberirdisch ins Tal.
Entwässerungsrinnen entlang der Maschinenwege
Fraglich also, warum ForstBW im Schurwald mit dieser Praxis weitermacht, so als ob es die erwartbaren Extremwetterlagen nicht gäbe. Aber damit nicht genug - im Frühjahr begannen weitere Maßnahmen - wohl zum Schutz der Maschinenwege. Links und rechts der Maschinenwege wurden 40 bis 80 cm tiefe Gräben gezogen, damit Wassermassen am Rande der Maschinenwege in die Waldbäche abgeleitet werden können. Ja, das dient zum Schutz der Maschinenwege, doch hat das eben zur Folge, dass noch mehr Wasser - ohne Speichermöglichkeit des Waldbodens - schneller in die Täler geleitet werden können.
Bei unserer Begehung mit ForstBW im Frühjahr 2024 hatte der Förster noch über einen Vorschlag, die Rückegassen - aufgrund der zu erwartenden Extremwetterereignisse - wenigstens quer zum Hang verlaufen zu lassen, das als eine Absurdität abgelehnt. Die Maschinenwege sind quer zum Hang, die Rückegassen verbinden - hangabwärts die Maschinenwege. Und jetzt wird jedem sofort klar, dass diese - gängige - Praxis ein Hochwasser in den Tallagen verstärken kann und das Ausrichten der Rückegassen wohl aus rein wirtschaftlichem Interesse erfolgt.
Biomasse auf Rückegassen, Holzablagerung entlang der Bäche
Noch etwas ist uns aufgefallen. Die geschlagenen Bäume werden entlang von Bächen platziert und - um das Einsinken der Harvester auf den Rückegassen zu vermeiden - wird die Biomasse (Blankziehen der Bäume) auf der Rückegasse abgelegt. Starkregenereignisse können nun dafür sorgen, dass die Biomasse auf den Rückegassen hangabwärts geschoben wird und so in die größeren Bäche und später in die Flüsse gelangt. Zunächst verstopfen die Waldbäche, das Wasser steigt an und nimmt das abgelegte Holz entlang der Bäche mit, was zu einer Verschärfung der Hochwassersituation führen kann. Auch das konnten wir dokumentieren. Nach dem Extremwetterereignis Ende Mai und Anfang Juni landete viel Holz im Tal und verstopfte die Abflusskanäle.
Waldschutz ist Hochwasserschutz
Was würde also passieren, wenn die Forstwirtschaft einen Wald in Ruhe lassen würde? Totholz würde sich anreichern. Ein ordentlicher Buchenstamm kann bei seiner Verrottung bis zu 2.000 Liter an Wasser speichern.
Denkt man das Prinzip weiter, so würde sich am Waldboden ein gesundes Geflecht aus Pilzen, Moosen, Farnen und Gräsern ausbilden können. Diese beschatten den Waldboden und saugen ebenfalls Wasser auf. Das verhindert zum einen eine schnelle Austrocknung des Waldbodens und zum anderen kann dieser Starkniederschläge abpuffern, verzögern und deutlich minimiert in die Tallagen ablassen. Zudem trägt das langsame Versickern zur Grundwasserausbildung bei. Vorausgesetzt, es gäbe keine Bewirtschaftung des Waldes mehr - oder eben keine Rückegassen, welche in Hanglagen durch Erntemaschinen befahren werden.
Ein Schwammwald ist ein Schutzwald
Ein intakter Waldboden - wohlgemerkt intakt - kann auf der Fläche von 1 ha 4.000.000 Liter Wasser speichern - 4 Millionen Liter auf 10.000 m² oder 400 Liter pro m². Ein Starkregenereignis hat bis zu 100 l/m² und ein Extremwettereignis von bis zu 250 l/m² zur Folge, das ist viel und zeigt, wie wichtig die Funktion des Schurwaldes als Schutzwald in Zeiten der Klimaerhitzung für die Regionen ist. Nur ein Beispiel - der Neckar war bei Esslingen kurz vor dem Überlaufen - hätte es 24 Stunden länger geregnet - und davon ist in der Zukunft auszugehen - wäre der Neckar über die Ufer getreten. Bad Cannstatt und Stuttgart liegen tiefer als Esslingen. Man mag sich ein solches Szenario gar nicht ausdenken. Allein vor diesem Hintergrund muss ein Umdenken, mit den Wäldern im Allgemeinen und mit dem Schurwald im Speziellen, stattfinden.
Für weitere Informationen:
Baden Württemberg: Schutzwald Schurwald
https://www.schutzwald-schurwald.de/hochwasserschutz-waldschutz.html