Forstwirtschaft am Scheideweg: Bewirtschaftung ältere Buchenbestände muss sich grundlegend ändern

Alter Buchenwald. Foto ©: S. Ecker
Alter Buchenwald. Foto ©: S. Ecker

 

Bundesweit werden infolge des Klimawandels zunehmend derzeit große Trockenschäden auch in den einheimischen Buchenbeständen beobachtet. Der Naturschutz-Experte Norbert Panek (Korbach) und der Biologe Markus Schönmüller (Bad Wildungen-Hundsdorf) trafen sich kürzlich mit dem Marburger Langstreckenwanderer und ehemaligen Förster Gerald Klamer, um sich Altbuchenbestände im Umfeld des Nationalparks Kellerwald-Edersee näher anzuschauen. Klamer befindet sich derzeit auf einer mehr als 5.500 Kilometer langen Wandertour durch Deutschlands Wälder und hatte in diesen Tagen auch im Kellerwald Station gemacht.

 

Auf seiner Tour durch Deutschland hatte Klamer schon häufig Buchenwälder gesehen, die durch sogenannte Schirmschläge stark aufgelichtet wurden. Durch diese Bewirtschaftungsmaßnahme wird das schützende Kronendach der Altbuchen geöffnet, wodurch großflächig viel Licht und Wärme in das Bestandsinnere eindringt. Bei längeren Hitzeperioden trocknet der Waldboden aus. Freistehende Bäume leiden verstärkt unter „Sonnenbrand“ und halten diesen Trockenstress auf Dauer nicht aus. Die Folge: Die Buchen werden massiv von Wollschildläusen und anschließend von Pilzen befallen; die Kronen der Buchen werden dürr und sterben ab. Bekannt ist dieses Phänomen schon seit Jahren unter dem Begriff „Buchen-Komplexkrankheit“.

 

Panek und Schönmüller hatten schon vor einigen Jahren ältere Buchenbestände im Kellerwald außerhalb des Nationalparks näher untersucht und festgestellt, dass die Holzvorräte fast sämtlicher Bestände stark abgesenkt wurden und im Zuge der fortgeschrittenen Schirmschläge große Waldlücken entstanden sind. Zurückbleibt dann zumeist eine flächige Monokultur aus nahezu gleichaltrigen Jungbuchen, die wieder zu einem mehrfach durchforsteten, strukturarmen bzw. einheitlichen Altersklassenbestand heranwachsen. Davon betroffen sind Buchenbestände sowohl im öffentlichen als auch im privaten Wald.

 

Die starke Öffnung der geschlossenen Waldbestände durch Schirmschlag führe nicht nur zu starken Austrocknungseffekten und Schädlingsbefall, sondern auch zum Verlust waldtypischer Strukturen. Ohne ein geschlossenes Kronendach können viele Wald-Arten, die es von Natur aus eher kühl und schattig mögen, auf Dauer nicht überleben. Studien aus der Schweiz haben herausgefunden, dass der Verlust der schützenden Baumkronen zu einer starken Erwärmung des Waldbodens führt und dort lebende, meist nur bedingt anpassungsfähige Arten verdrängt werden.

 

„Die menschengemachte Dürre wurde durch die nicht buchengerechte Bewirtschaftung noch verstärkt“, sagt Klamer. Das habe dazu geführt, dass Kühleffekte verlorengehen, die natürliche Pufferwirkung der Waldbestände weiter eingeschränkt wird und die Ökosysteme dadurch dramatisch geschwächt wurden. Diese Art der Forstbewirtschaftung werde in der gegenwärtigen Diskussion nicht einmal ansatzweise in Frage gestellt. Klamer, Panek und Schönmüller fordern deshalb ein Forstmanagement, das in ökologischen Zusammenhängen denkt und agiert und sich an dem Begriff „Naturnähe“ orientiert. Naturnähe bedeute vor allem: Stärkung der Regenerations- und Anpassungsfähigkeit der Wälder – eine wichtige Eigenschaft, um im derzeitigen Klimastress zu bestehen.

 

Klamer erinnerte auch daran, dass Buchenwälder im Jahr 2011 in fünf deutschen Schutzgebieten, darunter auch im Kellerwald, zum Weltnaturerbe der Menschheit erklärt wurden. 70 Prozent der Landfläche Deutschlands wären von Natur aus eigentlich von Buchen- bzw. Buchenmischwäldern bedeckt; sie sind durch menschlichen Raubbau auf acht Prozent ihres ursprünglichen Verbreitungsareals geschrumpft. Deutschland trage daher eine besondere Verantwortung für den Schutz dieser Wälder, so Klamer. Nur noch knapp drei Prozent der Gesamtwaldfläche in Hessens beherbergt alte Buchenbestände mit einem Alter von über 160 Jahren.

 

Panek und Schönmüller kritisieren, dass es im Zuge von Förderprogrammen versäumt wurde, ein übergreifendes Schutzkonzept für Buchenwälder im naturräumlichen Umfeld des Nationalparks „Kellerwald-Edersee“ zu entwickeln und umzusetzen. Um die noch verbliebene Rest-Substanz dieser Wälder zu sichern, sollte nach ihrer Auffassung in Buchenbeständen, die über 120 Jahre alt sind, der Holzeinschlag ab sofort ruhen; das wären in ganz Hessen rund 90.000 Hektar – flankiert durch Förderprogramme für Nutzungsentschädigungen in Privatwäldern.

 

Wenn die Politik aufwachen und begreifen würde, welche ökologischen Katastrophen sich im deutschen Wald anbahnen, und dass die momentane Krise in erster Linie eine Krise der konventionellen Forstwirtschaft ist, müsse sie sofort handeln. Alternativ dazu schlägt Klamer vor, zwar die Schirmschläge in über 120-jährigen Buchenbeständen einzustellen, aber die Bäume ab einem bestimmten Zieldurchmesser dann nach dem sogenannten Dauerwald-Prinzip nur noch „einzelstammweise“ zu nutzen.

 

 

Hintergrund

 

Der Marburger Gerald Klamer ist seit Ende Februar 2021 unterwegs auf einer rund 5.500 Kilometer langen Wanderung durch die bedeutendsten Wälder Deutschlands und hat damit große mediale Aufmerksamkeit erregt. Der ehemalige Förster will mit seiner Tour sowohl auf den Klimawandel als auch auf den Zustand unserer deutschen Wälder aufmerksam machen und dokumentieren, was an der aktuellen Forstwirtschaft verbesserungsbedürftig ist. Seine letzte Etappe führte ihn durch den Nationalpark „Kellerwald-Edersee“. In Frankenau traf er auf die Wald-Naturschützer Norbert Panek und Markus Schönmüller. Mit ihnen zusammen begutachtete Klamer einen gut 30 Hektar großen Buchenbestand bei Bad Wildungen-Hundsdorf.