Der folgende Expertenbrief nimmt Bezug auf den unten verlinkten WDR-Fernsehbericht, in dem Bürger im Studiogespräch wieder einmal als forstwirtschaftliche Laien und ihre Sorgen um sterbende und übernutzte Wälder einfach als rein emotional ausgeblendet werden: "Man muss sagen, die Leute um Herrn Kruse beschreiben das sehr emotional, was da passiert. Und das ist immer ein Ereignis für Leute, die sich mit Waldbewirtschaftung nicht so gut auskennen, wenn ein großer Baum gefällt wird." (Simone Eckermann, Wald und Holz NRW)
Na ja, man kann es sich schon einfach machen, vor allem wenn es um monetäre Aspekte der Waldbewirtschaftung geht. Da zählen Bäume eben nur, solange sie noch sauber im Holz und sägewerksgerecht zu verkaufen sind, also lange bevor sie zu ökologisch wertvollen Bäumen gealtert sind, die wir in Zeiten des Artensterbens so dringend brauchen. Glücklicherweise springen den Bürgern aber immer mehr Wissenschaftler und Experten bei, wie etwa der Forstfachmann Lutz Fähser im Beitrag oder hier im Anschluss der Brief des Waldökologen und Totholz-/Käferspezialisten
Dr. Georg Möller.
https://www1.wdr.de/fernsehen/lokalzeit/muensterland/videos/video-die-zerstoerung-der-waelder-beispiel-legden-100.html vom 06.04.2021
Sehr geehrte Redaktion von Lokalzeit Münsterland,
Landauf-landab zeigen sich sehr ähnliche Muster: Massive Einschläge in sogenannten Altbeständen des deutschen Waldes. Wobei „Altbestände“ im forstlichen Sprachgebrauch hiebsreife Bäume mit den für die Holzverwertung gewünschten Zieldurchmessern bedeuten: Um 130-jährige Buchen- bzw. Eichen sind in Relation zu ihrer natürlichen Lebenserwartung (Rotbuche bis 350 Jahre, Eichen bis weit über 500 Jahre) eher jugendliche Bäume.
Alte, der potenziellen natürlichen Vegetation entsprechende Laubwälder (>160 Jahre) nehmen lediglich 2,4 Prozent der deutschen Waldfläche ein ! Daher wiegt es um so schwerer, wenn in diesem, ohnehin massiv unterrepräsentierten Segment weiter fleißig (ab-) genutzt wird. Herr Holzhäuser zog sich auf das Recht der Waldbesitzer zurück, ihren Lebensunterhalt zu erwirtschaften und auf das Landeswaldgesetz, das Kahlschläge bis 2 Hektar Größe erlaubt.
Jedoch, es besteht eine Sozialbindung des Eigentums, die in Bezug auf den Wald wegen dessen elementarer Bedeutung für einen intakten Wasserhaushalt, den Bodenschutz, das Welt- und Regionalklima, die Biodiversität und diverser Sozialfunktionen auch von Privatwaldbesitzern zu beachten ist. Die Bundesregierung bzw. die zuständige Ministerin Klöckner müsste für umfassendere Nutzungsbeschränkungen im Privatwald im Sinne des Gemeinwohls entsprechende Förderprogramme und steuerliche Anreize schaffen.
Ich als Waldökologe mit entsprechender Erfahrung und umfangreichem Hintergrundwissen hätte als Waldbesitzer auch ohne Subventionierung kein Problem, Wirtschaftlichkeit und Biodiversitätssicherung in viel größerem Umfang umzusetzen, als es im durchschnittlichen Privatwald und leider auch in vielen öffentlichen Wäldern zur Zeit geschieht.
Die große Kahlschlagsfläche, die im Bericht gezeigt wurde, ist sowohl aus ökologischer, als auch aus moderner (forst-) wissenschaftlicher Sicht völlig kontraproduktiv:
Die direkte Sonnen- und Niederschlagsexposition des Waldbodens bewirkt einen massiven Abbau von Dauerhumus, das Absterben der in die Millionen gehenden Organismenwelt eines waldtypischen Bodens, die massive Auswaschung essentieller Nährstoffe (wie z.B. Kalium, Calcium, Magnesium), erhebliche Austräge von Stickstoff ins Grundwasser und das Absterben der für das Baumwachstum unentbehrlichen Mykorrhiza (Wurzelsymbiosen von Pilzen und Feinwurzeln – ohne Mykorrhiza können Waldbäume z.B. den für die Zellfunktionen unentbehrlichen Phosphor nur eingeschränkt aufnehmen). Schließlich bedeutet das Pilzgeflecht der Mykorrhiza eine bis zu 10.000-fache Erweiterung der Wurzeloberfläche, was besonders bei Trockenstress (in Zeiten des Klimawandels) überlebenswichtig ist.
Fazit: Das Waldgesetz NRW müsste dringend an moderne Erkenntnisse der Ökologie angepasst und Schlagflächen drastisch zum Beispiel auf eine Baumlänge reduziert werden.
Ganz gemäß der schönfärberischen bzw. abwiegelnden Wortwahl von Frau Simone Eckermann, die ohne Differenzierung auch in Bezug auf die 2 Hektar-Schläge von „Lichtkegeln“ sprach. Ich denke, sie als ANW-Mitglied weiß es durchaus besser (es sei denn, sie ist nur aus Prestigegründen in diesem ohnehin waldbaulich sehr heterogen eingestellten Verein). Die Behauptung von Frau Eckermann, genutzte Wälder seien die besseren Kohlenstoffspeicher bzw. Senken, ist in der aktuellen Situation schlicht falsch.
Erstens:
Neben anderen wissenschaftlich abgesicherten Studien legen laut einer in der hoch angesehenen Fachzeitschrift Nature 2008 (Old-growth forests as global carbon sinks, Sebastiaan Luyssaert, E. -Detlef Schulze, Annett Boerner, Alexander Knohl, Dominik Hessenmoeller) Beverly E. Law, Philippe Ciais & John Grace) veröffentlichen, weltweiten Untersuchung, ungenutzte (Ur-) Wälder ab einem Alter von über 200 Jahren jährlich um die 2,4 plus/minus 0,8 t Kohlenstoff pro Hektar fest. Und zwar wegen der im Vergleich zu Wirtschaftsforsten viel höheren oberirdischen Biomasse einschließlich viel höherem Totholzanteil und wegen des hohen Niveaus der Speicherung von Kohlenstoff im Boden in Form von langlebigem Dauerhumus bzw. der Speicherung in Form dauerhafter Sedimentation.
Zweitens:
Nur ein kleiner Teil der Holzernte wird zur Zeit tatsächlich zu langlebigen Holzprodukten mit nennenswerter C-Speicherwirkung verarbeitet. Der größere Teil der Holzernte wird einerseits direkt zur Wärmeerzeugung verbrannt (in Deutschland aktuell um die 50%) ohne vorgeschaltete stoffliche Nutzung. Gleichzeitig landet ein hoher Anteil des Holzes in mehr oder weniger kurzlebigen (Wegwerf-) Produkten wie zum Beispiel Verpackungen, Paletten, Papier und Spanplatten. Laut Bundesumweltministerium werden in Deutschland zur Zeit 320.000 Kaffeebecher pro Stunde verbraucht! In vielen Kommunen erhalten alle Haushalte wöchentliche eine Werbe-Postwurfsendung mit einem Gewicht um die 500 Gramm (auch wenn der Recyclinganteil bei Papier hoch ist – es muss ständig langfaseriger Zellstoff aus Frischholz nachgeschoben werden).
Die Behauptung von Frau Eckermann, es würden auch alte Bäume für den Schutz der waldtypischen Biodiversität erhalten, trifft nur für einen Teil der Wirtschaftsforsten zu – es mangelt zahlenmäßig erheblich an (mehrhundertjährigen) Biotopbäumen und erst recht an dickem, stehendem und liegendem Totholz ab 25 cm Durchmesser. Allein rund 1.500 Käferarten sind in Deutschland von Totholz abhängig, darunter viele Urwaldreliktarten; In Europa leben über 1.000 Pilzarten mit Fruchtkörpern größer als ein Stecknadelkopf an Totholz, auch hier viele Urwaldreliktarten.
Und Totholz hat eine wichtige Regulationsfunktion bezüglich Wasserhaushalt und Pufferung von Temperaturextremen: Je mehr Totholz, desto mehr Feuchtigkeit wird im Wald gehalten !
Bezüglich Biotopholz mangelt es in den meisten Forstbetrieben an Verbindlichkeit, an ökologischer Nachhaltigkeit und sogar in zertifizierten Forstbetrieben am erforderlichen Kontrolling bzw. an nachvollziehbarer Dokumentation. Als Arroganz empfinde ich die Behauptung von Frau Eckermann, die „normalen“ Waldbesucher reagierten auf die Übernutzung der Wälder ohne ausreichendes Hintergrundwissen einseitig emotional; Frau Eckermann muss sich angesichts ihrer rückständigen Ansichten über zukunftsfähiges Waldmanagement an die eigene Nase fassen.
Sicher, viele Waldbesucherinnen und Waldbesucher verfügen nicht über eine ökologische Ausbildung; Angesichts der wahnwitzigen Holzentnahmemengen bzw. der riesigen Holzpolter an den Waldstraßen täuscht sie ihr intuitives Bauchgefühl nicht, dass im deutschen Wald etwas gewaltig schief läuft.
Und Frau Eckermann behauptet unterschwellig, die Forstverwaltungen hätten zu wenig Personal, um ihre segensreichen Aufgaben zu erfüllen bzw. „aufklärend“ (im Sinne der Lobby „Cluster Holz“) auf die Bevölkerung einzuwirken. Dem ist nur entgegen zu halten:
Wälder wachsen seit rund 300 Millionen Jahren äußerst erfolgreich ohne die Verschlimmbesserung durch die klassische Forstwirtschaft. Mit weniger Forstpersonal und mehr unabhängiger Fachkompetenz nach dem Vorbild der Naturwaldakademie Lübeck wären wir gegenüber dem Klimawandel erheblich besser aufgestellt.
Auszug aus einer Greenpeace-Analyse der BWI3 (Bundeswaldinventur) 2014 von Norbert Panek und Markus Schönmüller:
LINK: Analyse: Der deutsche Wald im Spiegel der ... - Greenpeace
1. Der deutsche Wald ist im gegenwärtigen Zustand aufgrund seiner Baumartenanteile, Baumartenzusammensetzung und aufgrund der Bewirtschaftungsintensität als weitgehend „naturfern“ einzustufen. Nur vier Hauptbaumarten herrschen auf 72 Prozent der Gesamt-Holzbodenfläche vor. Selbst in den jüngeren Waldbeständen (Bestandsalter bis 60 Jahre) dominieren Nadelhölzer noch auf fast 60 Prozent der Fläche.
2. Der deutsche Wald ist in weiten Teilen ein junger, unreifer Wald. Alte, der potenziellen natürlichen Vegetation entsprechende Laubwälder (>160 Jahre) nehmen lediglich 2,4 Prozent der deutschen Waldfläche ein. Das fast vollständige Fehlen fortgeschrittener, vorratsreicher Altersphasen ist aus Naturschutzsicht und vor allem im Hinblick auf die Umsetzung der Biodiversitätsziele als dramatisch zu bezeichnen.
3. Dem deutschen Wald fehlen dicke Bäume: Der Anteil der Bäume ab Brustdurchmesser (BHD) 70 cm macht laut BWI³ lediglich 0,3 Prozent des Gesamtbaumbestands aus. Der Anteil des Vorrats dicker Bäume >70 cm BHD liegt im Hauptbestand bei weniger als 5 Prozent des Gesamtvorrats aller Altersklassen und BHD-Stufen und der Anteil der Stämme mit Brusthöhendurchmesser über 50 cm umfasst lediglich rund 3 Prozent.
4. Von den Bäumen „mit ökologisch bedeutsamen Merkmalen“ sind lediglich 0,013 Prozent des rechnerisch ermittelten Gesamt-Baumbestands ab 7 cm BHD als markierte Biotopbäume ausgewiesen (knapp 1 Baum je 10 Hektar). Die geringe Dichte dieser markierten und damit geschützten Biotopbäume belegt augenfällig die Unwirksamkeit „integrierter“ Naturschutzmaßnahmen im Wirtschaftswald.
5. Die naturschutzfachliche Analyse der BWI³ -Ergebnisse zum Totholzvorrat im deutschen Wald ergibt ein alarmierendes Gesamtbild: Statistisch haben die Totholzvorräte zwar zugenommen, die Totholz-Qualitäten aber dramatischabgenommen. Nur etwa ein Drittel des durchschnittlichen, auf die Waldfläche bezogenen Totholzvorrats (Gesamtvorrat: 20,6 m³ je ha = 224,379 Mio. m³) besteht aus Laubholz. Die Anteile von stehendem starken Totholz (ab 130 cm Höhe, Durchmesserklasse 20 bis 59 cm) sowie von liegendem Totholz ab Durchmesser 20 cm haben seit 2002 signifikant abgenommen. Der Anteil des Totholzes bei den Laubbäumen mit Durchmesserklassen über 60 cm beträgt lediglich 1,0 m³ je ha!
6. Ebenfalls bedenklich sind die Befunde zum Einfluss der Schalenwildarten, die den auch aus Naturschutzsicht wünschenswerten Waldumbau weiter stark gefährden.
Fazit: Die zu geringen Anteile an alten Wäldern und die unzureichenden Totholzmengen gefährden die waldbezogenen Biodiversitätsziele. Das öffentlich (offiziell) verbreitete Credo „Dem Wald geht’s gut“ ist demnach aus naturschutzfachlicher Sicht nicht länger haltbar.
Dr. Georg Möller, Wadern