Hessens Katastrophe im Waldschutz : gigantisches Windindustriegebiet soll in den Märchenwald der Gebrüder Grimm

Foto copyright Gero Lenhardt: Herbstlicher Reinhardswald
Foto copyright Gero Lenhardt: Herbstlicher Reinhardswald

Die Diskussionen um Windkraft im Wald bewegen viele Waldschützer. Dabei geht es nicht um ein „Nein zur Energiewende“, sondern vielmehr um ein äußerst sorgfältiges Abwägen der Vor- und Nachteile von WKA Standorten im sensiblen Naturraum Wald. Dazu müssen vor Ort die spezifischen Gegebenheiten beurteilt werden. Gerade in Zeiten der durch Dürre, Stürme und nachfolgenden Borkenkäferbefall entstandenen Kalamitätsflächen im Wald sind die Wälder besonders zu schützen, Wiederbewaldungen behutsam zu fördern und Alternativen zu suchen. Hier kommen auch und gerade in Schwachwindgebieten neue technische Realisierungen von Windrädern ins Spiel, die durch Verzicht auf die riesigen Rotoren weniger in das Naturgeschehen eingreifen (Vogel- und Fledermausschutz), aber bislang ein Nischendasein führen. Hinzu kommt das aktuelle Waldsterben, das den Erhalt noch intakter alter Laubwälder unabdingbar macht - Gründe genug für die massive Kritik am WKA-Großprojekt im nordhessischen Reinhardswald.

 

Für Waldschützer vor Ort ist es unfassbar, dass ausgerechnet hier im Reinhardswald insgesamt sieben Flächen mit zusammen ca. 2000 Hektar als sog. Vorrangflächen zur Bebauung mit Windanlagen ausgewiesen wurden. Der erste Windpark mit achtzehn gigantischen, 244 m hohen Turbinen auf zwei dieser sieben Flächen befindet sich bereits in der letzten Phase des Genehmigungsverfahrens! Werden alle Flächen bebaut, könnten am Ende 50 bis 60 solcher Anlagen in diesem besonderen Waldgebiet stehen. Hinsichtlich der Anzahl und Dimensionierung auf bewaldeten Höhenlagen zwischen 250 und 450 m gibt es bisher in Deutschland nichts Vergleichbares.

 

Dabei punktet der Naturpark Reinhardswald mit Superlativen bei seiner Werbung um Touristen:

 

„MÄRCHENHAFT WILDER...

Im größten geschlossenen Waldgebiet Hessens - dem Reinhardswald - umschlossen von den Flüssen Weser, Diemel und Fulda, warten mächtige, jahrhundertealte Hute-Eichen und ausgedehnte Buchenwälder auf Euch. Die steilen Kalksteinhänge und die lichten Magerrasen des Diemeltals, die zu den artenreichsten Biotopen Europas gehören, bieten einen magischen Kontrast zum Wald.“[1]

(Quelle: https://www.reinhardswald.de)

 

Foto copyright Gero Lenhardt: Alter Buchenwald im Reinhardswald
Foto copyright Gero Lenhardt: Alter Buchenwald im Reinhardswald

 

Widersprüche im Umgang mit „magischen Waldlandschaften" sind leider bundesweit anzutreffen. Zum einen werben die Regionen mit „wilden naturschönen Wäldern" um Touristen anzulocken, gleichzeitig werden für die Energiewende gerade solche Waldflächen in wenig besiedelter Umgebung offenbar gerne in Anspruch genommen. Argumentiert wird mit Klimaschutz durch die Energiewende, missachtet wird dabei die  Industrialisierung  der Wälder und die zerstörerische Auswirkung auf den Wald als aktuell extrem gefährdeten Lebensraum  und CO2 Speicher. Dieter Kurzmeier, ehemaliger Sprecher des Arbeitskreises Wald beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), führt an:

 

Ein großer Teil dieser negativen Auswirkungen von WEA in Wäldern kommt schlichtweg dadurch zustande, dass potentielle Standorte von WKA im Wald nicht frei zugänglich sind, sondern für eine Installation mit entsprechend ausgelegten Forststraßen erschlossen werden müssen. So muss der Wald nicht nur für die reine Standfläche der WEA, sondern auch für die Transportwege beziehungsweise ihre Verbreiterung zum Bau von WEA gerodet werden. Insbesondere der Transport der großen Rotorblätter erfordert weit ausladende Kurven. Rodungen für den Stromnetzanschluss können hinzukommen. So werden durch die Installation von WEA in Wäldern zusammenhängende Waldflächen zerschnitten und damit wertvolle Lebensräume voneinander getrennt mit entsprechend negativen Auswirkungen auf Flora und Fauna. Die Unversehrtheit großer Waldgebiete wird aufgebrochen.[2]

 

Reinhardswald von oben - ein zusammenhängendes Waldgebiet von großer Schönheit
Reinhardswald von oben - ein zusammenhängendes Waldgebiet von großer Schönheit

 

Im Reinhardswald sind allein für die ersten 18 Anlagen über 14 Kilometer schwerlastfähige, mehrschichtig aufgebaute Zuwegungen im Wald zu erstellen, davon 6 Kilometer komplett neu - bislang gibt es hier nicht einmal einen Forstweg.

 

Wie auf diesem Bild - anderenorts auafgenommen - könnten die Transportwege im Reinhardswald aussehen.
Wie auf diesem Bild - anderenorts auafgenommen - könnten die Transportwege im Reinhardswald aussehen.

 

Mit rund 200 qkm ist der Reinhardswald Hessens größtes zusammenhängendes und bis auf 2 Bewohner unbesiedeltes Waldgebiet, ein wahrer Hotspot der Biodiversität und wegen seiner Artenvielfalt in Flora und Fauna auch als das „Schatzhaus der europäischen Wälder“ bekannt. Seit 2017 ist er zudem das Herzstück des noch jungen Naturparks Reinhardswald. Dieser vereint zahlreiche Schutzgebiete aus unterschiedlichen Schutzkategorien. Unter anderem sind 18 Naturschutzgebiete und 11 Flora-Fauna-Habitate (FFH-Gebiete) sowie einige Landschaftsschutzgebiete im Naturpark Reinhardswald vereint. Insgesamt zählen über 40 % der Naturparkfläche zu Schutzgebieten.

 

Das Genehmigungsverfahren für die ersten 18 Großwindturbinen auf den Höhenlagen des Reinhardswaldes schreitet indessen trotz langjähriger Proteste nicht nur einzelner Initiativen, sondern der weit überwiegenden Zahl der Anliegerkommunen und inzwischen vieler Menschen bundesweit unaufhaltsam voran, denn der Reinhardswald ist gemeindefreies Gebiet in Landesbesitz – Einsprüche sind nicht möglich. Das Land Hessen darf zudem mit hohen jährlichen Pachteinnahmen für jede Windanlage im eigenen Wald rechnen.

 

Öffentlich ausliegende und herunterzuladenden Antragsunterlagen,  „Kapitel 05 Standort und Umgebung“
Öffentlich ausliegende und herunterzuladenden Antragsunterlagen, „Kapitel 05 Standort und Umgebung“
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Durch die Rodungen werden Waldlebensräume geöffnet, die in der Folge anfälliger sind für Stürme. Zudem verschiebt die Öffnung das Mikroklima im Wald in Richtung Trockenheit und sorgt für mehr Sonneneinfall. Dies hat weitreichende Konsequenzen zufolge, insbesondere eine größere Anfälligkeit für Trockenstress durch die erhöhte Verdunstung und eine schnellere Zersetzung des Bodens, damit einhergehend eine Veränderung des ökologischen Gleichgewichts von Boden, Flora und Fauna.[3]

 

 

Auf der Fläche KS02 auf dem Gebiet des Naturparks wurde bereits mit den Arbeiten für 3 Windenergieanlagen begonnen.
Auf der Fläche KS02 auf dem Gebiet des Naturparks wurde bereits mit den Arbeiten für 3 Windenergieanlagen begonnen.

 

All das in einem nicht nur durch das Dornröschenschloss Sababurg weithin bekannten, störungsarmen Waldgebiet, das seit dem 14. Jahrhundert ununterbrochen bewaldet war und bis heute ohne jegliche „Vorschädigungen“ durch Eisenbahn- oder Autobahntrassen ist. Es ist ein Waldgebiet, wie es in dieser Größe und Art in Deutschland kaum mehr zu finden ist und das zudem mit Solling und Bramwald eine naturräumliche Einheit auf über 650 km2 bildet – noch dazu in weitgehend industriefreiem Umland. Ein Naturschatz in der Hand der hessischen Landesregierung.


Reinhardswald - eine Schatzkammer für Flora und Fauna
Reinhardswald - eine Schatzkammer für Flora und Fauna

 

Wälder sind wichtige Lebensräume für Fledermäuse und Brutgebiete für viele windkraftsensible Vogelarten wie einige Greifvögel. Dabei gilt: Je älter ein Wald, desto ökologisch wertvoller ist er als Lebensraum. Alte Wälder über 160 Jahre sind durch die intensive Forstwirtschaft in Deutschland mit 3 Prozent sehr selten, und lediglich 14 Prozent sind älter als 120 Jahre. Das Durchschnittsalter der Bäume liegt bei 77 Jahren. Nur knapp ein Viertel des Waldes ist älter als 100 Jahre. Waldfledermausarten wie der Bechsteinfledermaus drohen durch die Rodungen für WEA der Verlust von Baumquartieren und Jagdhabitaten.[4]

 

In einer Zeit, in der der Waldschutz ebenso wie der Artenschutz von zunehmender Bedeutung sind und damit möglichst unzerschnittene, intakte Ökosysteme von herausragendem Wert, ist dieses gigantische Windindustrievorhaben in einem derart außergewöhnlichen Waldgebiet wie dem Reinhardswald kein vernünftiger Beitrag zum Klimaschutz und darüber hinaus nicht nur für die Menschen vor Ort, sondern auch für Flora und Fauna eine ökologische Katastrophe. Und das gilt auch und gerade in einer Zeit, in der nach dem Sterben mancher Fichtenmonokultur große Offenflächen entstanden sind. Aber Wald muss Wald bleiben, als Chance für den nun primär ökologisch statt ökonomisch ausgerichteten Waldumbau, eingebettet in vitale, großräumige Laubmischwaldbestände.

 

 

Anhang 7: Der Wald bleibt stehen - Sommer 2019 Aktion der beiden Künstler Helge Hommes und Saxana Sötschel – aktiv für den Reinhardswald – aber auch für den Hambacher Wald, den Dannenröder Wald. „Naturzerstörung ist Naturzerstörung – egal wodurch“.
Anhang 7: Der Wald bleibt stehen - Sommer 2019 Aktion der beiden Künstler Helge Hommes und Saxana Sötschel – aktiv für den Reinhardswald – aber auch für den Hambacher Wald, den Dannenröder Wald. „Naturzerstörung ist Naturzerstörung – egal wodurch“.

 

Wälder wirken als Hitzepuffer, Frischluftlieferanten, Erosionsschutz und Wasserspeicher. Diese Waldfunktionen gewinnen in Anbetracht der Klimaveränderungen mit ihren häufiger und intensiver auftretenden Trockenperioden, Starkregen, Stürmen und insgesamt steigenden Temperaturen zunehmend an Bedeutung. Eine Beanspruchung von Waldgebieten durch den Bau und Betrieb von WEA wirkt diesbezüglich kontraproduktiv, da die Zerschneidung und Öffnung der Wälder diese selbst anfälliger machen für Stürme, Erosion und Trockenheit. Letztere begünstigt den Verlust ganzer Waldflächen durch Waldbrände und Insektenkalamitäten, die dann nicht mehr für die oben genannten Ökosystemleistungen zur Verfügung stehen und zudem von einer Kohlenstoffsenke zu einer CO2-Quelle werden.[5]

 

Alle Beteiligten der Waldschutzinitiativen und ihre Unterstützer sind sicher:

 

DIESE Umsetzung der Energiewende wie sie nun im Reinhardswald geschehen soll, hätte bei der Mehrheit der Bevölkerung keine Deckung – WÜSSTE SIE NUR DAVON!

 

[1] Zit. aus einer Stellungnahme von Dieter Kurzmeier, ehem. Sprecher des Arbeitskreises Wald beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND)

[2] ebenda

[3] ebenda

[4] ebenda

 

Wald ist ein unverzichtbarer Klima- und Artenschützer!

Hannes Jaenicke und Peter Wohlleben unterstützen die Forderungen zum Schutz des Reinhardswaldes

 

Was Bürger als Unterstützer tun können- Aufruf der Waldschutzinitiative "Aktionsbündnis Märchenland/Rettet den Reinhardswald":

 

Seit dem 2. November hat die Phase der Öffentlichkeitsbeteiligung begonnen – die Antragsunterlagen für die ersten 18 Windanlagen sind nun einsehbar. Bis zum 4.1. 2021 kann jede*r sich mit einer schriftlichen Stellungnahme einbringen! Bitte schreibt – und teilt diese Information! Mehr Infos dazu auf www.rettet-den-Reinhardswald.de unter „Aktuelles“.

 

Rettet den Regenwald e.V. hat bereits vor einiger Zeit eine Petition für den Reinhardswald und damit auch für andere Wälder aufgelegt. Bitte teilt und zeichnet diese Petition – Ihr findet sie hier: https://www.regenwald.org/petitionen/1184/keine-windkraftanlagen-im-wald denn „Klimaschutz darf nicht zulasten der Wälder gehen – die Ökologie setzt unserem Energieverbrauch Grenzen, nicht umgekehrt.“

 

Teilt bitte dieses Schreiben in Euren Netzwerken und meldet Euch über info@rettet-den-reinhardswald.de , wenn Ihr weitere, auch fachliche Unterstützung anbieten könnt. Ebenso werden Spenden für aktuelle anwaltliche Begleitung und zukünftige Klageunterstützung zum Erhalt des Reinhardswaldes dringend erbeten - mehr dazu hier: https://rettet-den-reinhardswald.de/spenden-dein-beitag-hilft/

 

 Kontakt und weitere Infos auf: www.rettet-den-reinhardswald.de